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Leistungsgesellschaft

Leistung

Wir schreiben das Jahr 2010. Die Abschlussprüfungen der Hauptschule stehen kurz bevor. Bin ich gestresst? Nö, überhaupt nicht. Ich weiß, dass ich keine Probleme haben werde. Stress kenne ich zu der Zeit nur bei Videospielen. Jeder der mal in einem „Clan“ gespielt hat und regelmäßig in Clan Tunieren sein Glück versucht hat, weiß wovon ich rede.

Der Sommer war gut, Bier war kalt und einige mussten schon am 1. August anfangen zu arbeiten. Die kamen zum Feierabend dazu und erzählten was von stressiger Arbeitswelt und sowas? Keinen Schimmer was das genau sein soll, aber ich war mir sicher, mich betrifft das nicht. Erstens war ich viel zu „cool“, um mich stressen zu lassen und zweitens auch viel zu dumm, um es zu kapieren. 

Am 1. September war ich beides nicht. Arbeiten, Schule, strenge Augen des Vorgesetzten, Probezeit und andere Mitarbeiter prägten mein Bild. Ich bin kein Experte, aber ich denke das geht allen so 🙂 Aber dazu später mehr.

Zeig Leistung! Ach und viel Spaß in der Schule

Nach der Einschulung geht es los mit dem Leistungsdruck. Gerade Schüler klagen am häufigsten über Stress im Schulalltag. Eine Studie des Nachilfeportals Studienkreis ergab, dass sich 72% der Befragten mindestens einmal die Woche gestresst fühlen.  Druck von den Lehrern, eigener Anspruch und der Druck von den eigenen Eltern sind die meisten Antworten. Aber warum stresst einen die Schule so sehr? Sollte es nicht ein angenehmer Ort sein, um auf das „Leben“ vorbereitet zu werden?

Nach der 4ten Klasse, wird entschieden auf welche Schule du darfst. Es wird nicht nach deinen Stärken entschieden, sondern nur nach Noten. Das Problem dabei ist, dass Schüler XY ein super Geschichtenerzähler ist, aber leider schlecht in Mathe. Deswegen ist er leider dumm und muss auf die Hauptschule. (Hart, aber so in etwa läuft es ab) Die Stärken von Schüler XY werden kaum vorangetrieben, dafür wird er täglich mit seinen Schwächen konfrontiert. Um die zu bekämpfen, büffelt er ganz viel. Leider reicht es einfach nicht und er schreibt trotzdem die klassische 5. Ein Teufelskreis das ganze.

Jetzt sagt der geneigte Leser natürlich: „Wer kritisieren kann, der sollte auch Lösungen haben.“ Nö muss ich nicht. Dafür gibt es studierte Köpfe in unserem Land. Die müssen Lösungen bieten, nicht ich.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Die Schule endet und das Leben beginnt.  Zumindest mehr oder weniger. Bist du klug, gehst du auf eine weiterführende Schule oder studieren. Hast du es nicht so mit Buchstaben und Zahlen, dann beginne eine Ausbildung. 

Ich bin doch recht unfertig auf diese Reise gegangen. Wenn ich ehrlich bin hatte ich auch null Bock. Klar Geld verdienen und raus aus der Schule sind gute Gedanken. Also ab in die Lehre. Tag 1 und ich stand unter Druck.  Jetzt aber gar nicht, weil ich so schlecht war oder nix konnte. Es war eher der Druck nach Leistung, nach guter Leistung. Hat man nicht genug oder nicht schnell genug Leistung erbracht, gab es einen Satz heiße Ohren. Schnell merkte ich wie mir sowas gar nicht gefällt. 

Ändern kann man erstmal nix, wobei ich immer nur soviel arbeiten wollte, dass ich keinen Ärger bekomme. 🙂 

Klar eine Art Welpenschutz hat man natürlich, trotzdem fande ich das Stresslevel schon gehörig hoch. Chefs, Mitarbeiter und andere Azubis üben Druck aus, den ich vorher so gar nicht kannte. 

Menschen werden nach ihren Fähigkeiten beurteilt, nicht nach ihrer Individualität. Wenn jemand nicht so schnell arbeitet, ist er ne Blinse und kann nix. Dabei machen sich die meisten den Druck selber und arbeiten schneller, um keine Blinse zu sein. Ein Teufelskreis das ganze.

Schneller, höher, weiter. Die Leistung entscheidet

Leistung ist ein Begriff aus der Gegenwart. Das hat die Politik auch erkannt. In dem aktuellen Koalitionsvertrag,  kommt „Leistung“ auf 179 Seiten 109 Mal vor. Getreu dem Motto 100 war ganz schön, aber wann kommt 200? Verändert hat sich die Wahrnehmung der Leistung im 19. Jahrhundert. Die Industrialisierung machte aus dem menschlichen Körper eine Art Maschine. Leistung wurde von nun an gemessen und es erklärt sich fast von selbst, dass zu dieser Zeit auch die Olympischen Spiele der Neuzeit (1896), die Nobelpreise (1901) und die Tour de France (1903) eingeführt worden sind. Der Mensch definiert sich über den globalen Leistungskampf.

Nach dem zweiten Weltkrieg beschleunigte sich das ganze erheblich.  Leistung wurde an Erfolg gekoppelt. Es beginnt mit Schulnoten und endet in Unternehmen, die darauf achten wie viele Abschlüsse ein Mitarbeiter erreicht.  Der Wert einer Leistung hängt stark davon ab, wer sie bewertet. Wir nehmen uns selber stärker, als Konkurrenten wahr und sind im ständigen Wettkampf.

Ich bin für den Wettkampf geboren. Egal ob es Einzel Ballsportarten sind wie Tennis oder Squash, oder Videospiele, oder Gemeinschaft Spiele. Gewinnen will ich immer und erst dann macht es mir auch Spaß. Leider bin ich ein schlechter Verlierer und ein noch schlechterer Gewinner. 🙂

Im Beruf kam mir sowas nicht in den Sinn. Es ist schön zu hören wenn man besser ist als Mitarbeiter XY, aber am Ende des Tages bringt es mir auch nix ein.

Das beste Beispiel für Leistung, die meistens ziemlich sinnlos ist, sind für mich Praktika.

Ich gebe zu, dass es einen selber etwas bringen kann irgendwo ein Praktikum zu machen.

Grundsätzlich sind sie aber unbezahlt und man erweitert seine Fähigkeiten bei sinnvollen Tätigkeiten wie Zählen von Excel Listen und akkurates Biegen von Büroklammern. 

Vor 20 Jahren, waren Praktikanten noch so selten wie pünktliche Züge und bei alteingesessenen Unternehmen ähnlich gerne gesehen, wie heutzutage ein Schwabe in Oberbayern.

Generation Praktikum: Danke für nix.

Es lebe die Prokrastination

Prokrastination ist ein Begriff, den ich schon lange kenne. Ja gut okey ich kenne das Aufschieben. Den Begriff Prokrastination kannte ich natürlich nicht.

Erstmal hat Prokrastination nix mit Katzen Videos zu tun. Jeder meint immer man schaut Katzen Videos, totaler Blödsinn. Katzenvideos sind super langweilig und egal ich schweife ab.

Prokrastination darf nicht so negativ gesehen werden. Es geht nicht darum gar nix zu tun, sondern alles zu erledigen, nur nicht das was am wichtigsten erscheint. Als Beispiel: Auf meiner To Do List steht ganz oben ein Brief zur Post zu bringen. Des weiteren: Wohnung putzen, Müll rausbringen, einkaufen, Buch lesen, Auto sauber machen.

Am Ende des Tages habe ich mit Feuereifer alles erledigt außer den Brief zur Post zu bringen. Warum? Naja ich hab einfach gar kein Bock zur Post zu fahren und habe als Vorwand, um es nicht tun zu müssen alles andere erledigt.

Die große Frage lautet: Wann bringe ich den Brief zur Post? Wenn etwas ansteht auf das ich noch weniger Lust habe. Fenster putzen zum Beispiel.

Prokrastinier sind Helden. Ihnen bedeutet der Faktor Zeit einfach nix. Sie wissen das sie unter Druck das beste aus sich herausholen. Das zeigt, dass sie keine Angst vor dem Tod haben. Sie denken nicht: “ Das Leben ist kurz und wir sterben alle irgendwann.“ Genau deswegen können sie es sich leisten zu trödeln, es abzuwarten und genau das zu tun wofür man sie nicht beauftragt hat.

Am Ende des Tages geht jeder mit Leistungsdruck anders um.  Ich jedenfalls will das typische Bild des immer fleißigen, hart arbeitenden Deutschen hinter mir lassen.

Was ist falsch daran, sobald man eine Erkältung hat zum Arzt zu gehen und sich krank schreiben zu lassen.? Was ist falsch daran, keine Überstunden zu machen? Was ist falsch daran, nicht immer alles perfekt zu machen?

Mittlerweile macht es mir nicht zu schaffen, es auch mal nicht zu schaffen.

Folgende Arte Dokumentation über Prokrastination lege ich euch gerne ans Herz 🙂

Wenn ihr auch der Meinung seid, dass Minimalismus eine Art Ventil für Leistungsdruck ist, dann schaut mal bei meinem Beitrag vorbei 🙂

Die Lüge der Leistungsgesellschaft. Wer viel leistet soll ein gutes Leben haben und mehr verdienen. Stimmt das wirklich?

Hier ein guter Artikel der Frankfurter Rundschau

Faulheit ist die Kunst, solange nichts zu tun, bis die Gefahr vorüber ist, dass man etwas tun müsste. 

Gunther Philipp

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